Digitalisierung muss nicht in Nonprofit-Organisationen gebracht werden, sie ist schon längst da.

Kaum ein Schlagwort wird derzeit öfter in den Medien oder in politischen Debatten erwähnt, als das der Digitalisierung. Dabei wird vor allem darauf verwiesen, dass durch die digitale Revolution alle Lebensbereiche von Veränderungen betroffen sein werden, so sie es nicht längst schon sind. Auch vor der Sozialwirtschaft, die soziale (Dienst)Leistungen anbietet, werden die Veränderungen nicht halt machen. Die Spring School des Europäischen Masterstudiengangs „Sozialwirtschaft und Soziale Arbeit“ hat sich vom 3.–5. Mai 2018 diesem Thema gewidmet. In den verschiedenen internationalen Keynotes wurden viele Aspekte der Digitalisierung beleuchtet. 

Brigitte Reiser, die den Blog Nonprofits-digital.de betreibt und Organisationen in Deutschland berät, verwies darauf, dass Digitale Entwicklungen viele Leistungsbereiche und das Management sozialer Organisation verändern, sowie die Lebenswelt der Klientin und der SozialarbeiterInnen betreffen. Innerhalb der Organisationen kann analog zum Qualitätsmanagement von einer Querschnittsmaterie gesprochen werden, die früher oder später auch in größeren Organisationen in einer eigenen Stelle münden wird. Digitalisierung geht auch mit einer neuen Form der Partizipation einher. Egal, ob es z. B. ein neue Form der Kommunikation mit Mitarbeitern oder eine Plattform für ehrenamtliches Engagement ist, die Menschen möchten nicht nur mitsprechen, sondern auch in Entscheidungen eingebunden werden. Ähnlich sieht es auch Janet Kuschert von der Organisation Sindbad (Wien). Die Art der Beziehung und die Kommunikation zwischen den Menschen und den Medien sind gänzlich neu. Längst sind Menschen durch Sozialen Medien selbst Medien. Sie erstellen und verteilen Informationen untereinander. Die Rolle der klassischen Medien verändert sich dramatisch. Sie hat nicht mehr die alleinige Informationshoheit. Das fordert auch die Sozialwirtschaft, möchte sie ihre Botschaften an ihre EmpfängerInnen bringen. Allein am Beispiel Social Media wird aber deutlich, dass es für die Digitalisierung auch Ressourcen und Kompetenzen braucht. Man kann nicht einfach nebenbei als Sozialarbeiterin auch verschiedene Plattformen wie Facebook, Instagram oder Twitter mit Inhalten versorgen und mit Usern in einen Austausch treten.

 

Digitalisierung – Yes, we should!

Digitalisierung bedeutet für viele Organisationen vor allem einen umfassenden Veränderungsprozess. Davon ist Harald Frei, Vorstand der Rummelsberger Diakonie (D) überzeugt. Die Veränderungen ziehen sich durch viele Bereiche der Organisationen. Trotzdem ist gerade im Bereich der sozialen Dienstleistung nicht damit zu rechnen, dass in der Zukunft Roboter und Algorithmen die Arbeit von Pflegekräften oder SozialarbeiterInnen übernehmen werden. Das heißt aber nicht, dass sich soziale Organisationen nicht mit den Möglichkeiten und Herausforderungen der digitalen Gesellschaft beschäftigen müssen. Es ist eine Auseinandersetzung mit digitalen Angeboten, digitalen Medien oder digitalen Prozessen notwendig.  Michael Freund, der sich im Fond Soziales Wien mit dem Thema Active and Assisted Living beschäftigt, sieht in der Pflege und Betreuung sehr wohl viele sinnvolle Einsatzgebiete von digitalen Anwendungen, digitalen Produkten oder gar von Robotern. Trotzdem ist gerade die Zielgruppe der SeniorInen noch nicht im digitalen Zeitalter angekommen. Vielen fehlt der Zugang zum oder die Erfahrung mit dem Internet. In jedem Fall braucht es in der Sozialwirtschaft sowohl technisches, also auch soziales Know-how um die digitalen Veränderungen zu gestalten. Dass das auch in einer Person vereint sein kann beweist Nicolas Felber, der in der Schweiz die Sozialberatung Spital Zollikerberg leitet. Das macht es natürlich leichter, über den Einsatz digitaler Anwendungen zu sprechen und für sich zu bewerten, welche davon zu einem sozialen Dienstleistungsbetrieb passen. Dass die Digitalisierung auch den Schwächsten der Gesellschaft nutzen kann, ist nicht selbstverständlich, aber es gibt z.B. bei der Schuldnerberatung Wien das „Betreute Konto“. Für Alexander Maly gäbe es noch viele weitere Möglichkeiten, wie Menschen digital partizipieren könnten bzw. die Arbeit der Sozialarbeit durch digitale Anwendungen zum Wohle der KlientInnen eingesetzt werden könnten. Eine Hürde ist, dass auch im Zeitalter der Digitalisierung in der Sozialwirtschaft immer die Frage im Zentrum, wer für ein neues Angebot bezahlen wird?

Digital Social Economy – gelebte Praxis in Österreich

Im Rahmen der Podiumsdiskussion mit VertreterInnen der österreichischen Sozialwirtschaft wird deutlich, dass auch hierzulande digitale Innovationen am Vormarsch sind. Thomas Valina war an der Entwicklung des Betreuten Kontos der Schuldnerberatung Wien beteiligt. Heute unterrichtet er im „Bachelorprogramm Soziale Arbeit“ am FH Campus Wien. Digitale Tools in die analoge Beratung einbauen schafft einen Mehrwert, wenn die Tools praktikabel im Beratungsprozess sind. Der Kontakt über E-Mails kann helfen, Berührungsängste bei Beratungsstellen abzubauen, aber Face-to-Face nicht ersetzen. Eine sehr positive Bilanz zieht auch Bettina Zehetner von Frauen beraten Frauen, die seit einigen Jahren Online-Beratung anbieten. So kann diese Form der Beratung z.B. den Telefonkontakt minimieren. Bei der Online-Beratung wird das Schreiben selbst durch Klientinnen schon als entlastend bezeichnet. Das ist ein positiver Effekt, der zusätzlich entsteht. Viel Erfahrung mit dem Einsatz von digitalen Medien und Spielen hat Goran Maric von Three Coins. Das Social Business setzt ergänzt digitale Beratungsangebote und Online-Games durch Workshops, um mit Jugendlichen zu deren Finanzkompetenz arbeiten. Partizipation der User ist bei der Entwicklung von Online-Games und Apps oberste Prämisse, um den Social Impact zu maximieren. Auch etablierte Organisationen, wie der Samariterbund, beschäftigen sich mit den digitalen Veränderungen. Leider ist die finanzielle Abgeltung für digitale (Zusatz)Angebote noch nicht überall üblich. Aber es gibt auch andere Hürden, von denen Elia Meier von der Zukunftsabteilung 2025 berichtet. Es gibt bei Kollegen und Ehrenamtlichen noch immer Vorbehalte, digitale Medien und Anwendungen zu nutzen. Gerade in einer so weit verzweigten Vereinsstruktur mit vielen lokalen Gruppen ist das eine große Herausforderung.

 

Sozialwirtschaft muss Digitalisierung aktiv mitgestalten

Wie beurteilen die rund 120 TeilnehmerInnen dieser Studierendenkonferenz der digitalen Sozialwirtschaft? Die Sozialwirtschaft muss die Veränderungen durch die Digitalisierung aktiv mitgestalten, um so die eigenen Interessen einbringen zu können. Die Digitalisierung verändert das Zusammenleben, die Arbeitswelt und sogar zwischenmenschliche Beziehungen. Die Sozialwirtschaft hat den Auftrag, den Menschen in den Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses zu stellen. Man muss sich in die digitale Debatte einmischen und manchmal auch lästig sein. Die Technik muss den Menschen helfen und nicht zum alleinig bestimmenden Kriterium werden. Dass der Hass im Netz und das Verbreiten falscher Informationen auch für die Sozialwirtschaft ein Problem ist, weiß man nicht zuletzt von der falsche Story „iPhones für Flüchtlinge“ , die der Österreichischen Caritas angedichtet wurde. Solche eine Polarisierung kann zu einem ernsthaften Imageproblem für auf Spenden, aber auch auf öffentliche Förderungen angewiesene Organisationen, werden. Digitalisierung verlangt somit auch nach neuen Angeboten, weil neue Zielgruppen und andere Beratungsthemen in den Fokus der Sozialen Arbeit rücken. Denn es gibt Gewinner und Verlierer in der digitalen Gesellschaft. So ist z. B. Cybermobbing nicht nur bei Jugendlichen ein zunehmendes Problem.

Die Digitalisierung ist aber längst Realität in den österreichischen Organisationen. Dabei gilt es aber, nicht blind der digitalen Innovation das Wort zu reden. Sie muss für alle Beteiligten anschlussfähig sein und in jedem Fall einen Nutzen stiften. Zentral ist die Beteiligten der MitarbeiterInnen und KlientInnen in den Innovationsprozess. Sie schafft z.B. viele Möglichkeiten für eine neue Art des Wissensmanagement auf. Auch das Erschließen neuer Wertschöpfungsketten ist dadurch möglich. Digitale Projekte wären eine gute Möglichkeit zur Kooperation mit anderen sozialen Einrichtungen, um z.B. Entwicklungskosten zu sparen und Know-how zu bündeln. Sie sollten auch die MitarbeiterInnen und KlientInnen miteinbeziehen. Es braucht aber auch Gelassenheit. Gerade weil es noch wenige Erfahrungswerte gibt, muss Scheitern möglich sein. Insgesamt werden aber die Chancen größer als die Risiken bewertet.

In Zeiten angespannter Budgtes ist die Frage der Finanzierung der Veränderungsprozesse eine große Herausforderung. Man muss aktiv von den Fördergebern Ressourcen einfordern, um digitale Kompetenzen bei MitarbeiterInnen, aber auch bei KlientInnen aufbauen und im Idealfall einen Digitalisierungsbeauftragten finanzieren zu können. Hier zeigt sich, dass auch die innovativste und modernste Idee an einem altbekannten Problem scheitern kann, weil niemand dafür aufkommen möchte.